Was ist eine meditative Einsicht?

In den traditionellen fernöstlichen Lehren werden die Begriffe Einsicht, Erleuchtung oder Erwachen mit ähnlichen Bedeutungen verwendet.

Beispielsweise ist in der Yogatradition die 7te Stufe der geistigen Entwicklung die Meditation. Die 8te Stufe wird als Samadhi bezeichnet und das ist die Folge des Meditierens. Diese Stufe kann man allerdings nicht erzwingen und in der Yogatradition wird damit die Erleuchtung gleichgesetzt.

In der buddhistischen Tradition wird das Wort Erleuchtung durch die Wörter wie Satori, Samadhi oder Kensho ersetzt. Dabei werden in Japan die Wörter Kensho oder Satori oft als Synonym benutzt, obwohl aus der Beschreibung dieser beiden Begriffe eindeutig zu erkennen ist, dass das Kensho sich auf die augenblickliche Erfahrung des erwachten geistigen Zustandes bezieht und Satori sich auf den dauerhaften, erwachten menschlichen Geist bezieht.

Die Bezeichnung Einsicht stammt aus der westlichen Zivilisation und synonym dafür ist Erkenntnis, oder augenblickliches  Verstehen der Zusammenhänge. Diese Erkenntnis ergibt sich durch dauerhaftes Bemühen etwas zu erkennen und sie passiert plötzlich.

In der Kreativitätslehre ist die Erkenntnis über die Zusammenhänge, oder das plötzliche Herausfinden einer Lösung eines Problems, mit dem man sich jahrelange beschäftigt hat, eine kreative Einsicht. Solche Einsichten passieren einem nur dann, nachdem man aufgehört hat ständig zu versuchen das Problem zu lösen.

Die erste Probe des Geistes, die uns bekannt ist in der Geschichte unserer Lehre passierte im 9ten JH, als Chao Chou sich die Frage gestellt hat: „Was ist Wu?“

Wenn wir als westliche Menschen davon ausgehen, dass das Wort Wu uns unbekannt ist und für uns nur einen Klang darstellt, der aus zwei Buchstaben besteht, dann können wir die Tiefgründigkeit dieser Frage nicht verstehen. Wenn wir dazu aber wissen, dass das Wort Wu auf Chinesisch entweder ‚nichts‘ oder ‚ohne‘ bedeutet, dann können wir ahnen, auf welche Suche sich Chao Chou gemacht hat und die nichtbegreifliche Bedeutung der Frage herauszubekommen. Sein Meister hieß Wu Jia und er hatte diesen Namen vor den Toren des Shaolinklosters bekommen. Ein Lehrer hat ihn so benannt, nachdem er ihn befragt hatte, woher er kam und wie er hieß, denn auf die Frage wie er hieß antwortete er, dass er keinen Namen hat. Daraufhin beschloss der Lehrer ihn Wu Jia zu nennen, das bedeutet buchstäblich ‚ohne Namen‘. Der Name steht immer im Zusammenhang mit der Herkunft eines Menschen und der Name bezeichnet auch das Heim oder die Herkunft desjenigen, der diesen Namen trägt. So war es im traditionellen China und indem er gesagt hatte, dass er keinen Namen hat, hatte er gesagt, dass er wurzellos ist, dass er weder Name noch Heim hat.

Chao Chou hat im Verlauf der Beschäftigung auf der Suche nach der Antwort auf die Frage ‚Was ist Wu‘?‘ erkannt, dass sein Meister ein ‚Nichts‘ geworden ist. Dieses einfache Nichts hat das Schicksal seines Meisters bestimmt. Dieses Nichts musste sein Meister gleichzeitig als ‚Etwas‘ und als ‚Nichts‘ vertreten. Daraus ist eine neue Lehre entstanden.

Im Grunde dieser Lehre befindet sich die Suche nach dem was ist. Wenn etwas ist, dann muss sich dieses Etwas irgendwo befinden. Wenn man folgerichtig zu denken anfänge, dann fände man heraus, dass die Reihenfolge von etwas den Suchenden am Ende zum Nichts bringt. Das Nichts ist der Träger aller Dinge, die etwas sind.

Wenn aber etwas sich im Nichts befindet, dann kann dieses Etwas nicht existent sein, sondern nur eine Täuschung. Daraus ergab sich eine tiefe Erkenntnis des gegenwärtigen Meister dieser Lehre, dass nur etwas was entstanden ist, unbeständig ist. Das was nicht entstanden ist, was entstehen könnte, solange es entstehen kann, hat ein ewiges Leben. Die Begrenztheit der entstandenen Dinge ist im Augenblick der Entstehung bestimmt. Dafür sprechen auch alle Lebensformen, die uns bekannt sind. Wenn das Leben in irgendeiner Form entstanden ist, dann ist es automatisch vergänglich. Ist etwas aber nur als Möglichkeit vorhanden, dann kann es als Möglichkeit ewig bestehen.

Der nächste Schritt in der Erkenntnis der Lehre, die ich vertrete, besteht darin, dass man sich auf die Suche nach der Wahrheit begibt und versucht die unvoreingenommene Wahrheit zu erkennen. Natürlich werden sich Philosophen und andere Denker dagegen wehren, dass die Wahrheit überhaupt erkennbar ist. Was ich euch mitteilen kann ist das, dass die Wahrheit zugänglich ist, für jeden unvoreingenommen und reinen menschliche Geist. Um den Geist aus einem unreinen Geist zu einem Instrument der Wahrheitserkenntnis zu entwickeln, muss man sich auf einen langen Weg machen. Die Wahrheit ist etwas, das sich hinter den Kulissen der Scheinwelt befindet.

Diese Scheinwelt ist wie ein Spiel der herbstlichen Blätter im Wald. Wenn der Wind weht, diese gelbliche, herbstliche Farbe ist schön und verführerisch. Sie ist nur etwas was entstanden ist, was auch vergehen wird, was nicht existent ist. Wer sich von den Täuschungen des Geistes irreführen lässt, der befindet sich nur auf der Suche nach Spaß oder Freude. Diejenigen, die bereit sind diese Scheinwelt zu verlassen und hinter die Kulissen zu schauen, sind tatsächlich an der reinen Wahrheit interessiert.

Wie sollte dann der Weg aussehen, der einem ermöglicht, die wahre Welt so zu sehen, wie sie ist?

Ich gehe davon aus, dass jeder der diesen Text liest, auch die Antwort kennt.

Das ist die Meditation.

Die Meditation hat unter anderem die Aufgabe den sich selbst täuschenden Geist von den Geistestäuschungen zu befreien und die Kulissen der Welt, die Scheinwelt auseinanderzunehmen, um den Blick dahinter zu werfen. Erst dann kann der Geist die Wahrheit erkennen. Was steht einem jeden menschlichen Geist im Wege, um die Wahrheit direkt intuitiv und spontan zu erkennen, das sind vor allem die Einstellungen.

Die erste Einstellung entsteht auf einer biologischen Basis. Unser Nervensystem ist so geartet, dass es in der Lage ist, auf gewisse innere und äußere Reize auf eine bestimmte Art zu reagieren. Das sind die biologischen Programme, die allen menschlichen Wesen auf die eine oder andere Art gegeben sind. Eine Reaktion kann einen angenehmen oder unangenehmen Zustand verursachen. Keine Reaktion verläuft ohne Spuren, ohne einen Tropfen der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit erlebt zu haben. Durch diese Erfahrungen deren sich diejenigen, die sie erfahren haben, nicht bewusst sind, bildet sich der voreingenommene Geist.

Wenn der Geist sich einer Voreingenommenheiten bewusst geworden ist, dann kann mancher den Wunsch bekommen sich von den Voreingenommenheiten zu befreien. Leider passiert das nur wenigen, die meisten bleiben in der Welt der eigenen Einstellungen gut behütet und zufrieden.

Wer durch die Selbsterkenntnis getrieben wird, sich von den Unreinheiten des eigenen Geistes zu befreien, der entscheidet sich, den Weg der Selbsterkenntnis mit Hilfe der Meditation zu gehen. Dabei ist es allerdings nicht Jedem gegeben, bis zum Ende seines eigenen Lebens den reinen Geist zu erlangen.

Jeder Fortschritt auf diesem Weg entfernt eine Schicht oder einen Teil des Schleiers der Geistestäuschungen. Die Welt zeigt sich dann in der wahren Pracht einem Jeden der meditiert.

Natürlich ist die Krönungsmeditation aller Meditationen diese, die Chao Chou in die Welt gebracht hat, es ist die Suche nach der Antwort auf die Frage „Was ist Wu?“. Das ist offensichtlich eine Frage, auf die es keine logische Antwort geben kann. Diese Meditation ist nur dann sinnvoll, wenn der Meditierende sie über eine längere Zeit praktiziert, ohne dabei den Wunsch zu haben, sie irgendwann beantworten zu müssen. Allein der Weg mit der Beschäftigung der Frage schärft den Geist und entfernt die geistigen Unreinheiten, sodass der menschliche Geist plötzlich in seiner nichtexistierenden Form sich selbst erkennen kann. Die zweite Frage, die den gleichen Wert wie die erste hat, lautet: „Wer bin Ich?“. Dabei kann der Meditierende nur dann Fortschritte machen, wenn er unter der Leitung eines Meisters sich selbst sucht und gleichzeitig die Selbsterkenntnis verneint, um überhaupt weiterzugehen. Durch diese Selbstverneinung erkennt der Meditierende tiefere Schichten der eigenen Existenz, bis er eines Tages plötzlich auf dem eigenen nichtexistierenden Geist landet.

Herzliche Grüße Milenko

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