Entwicklung durch Meditation

Der Regentropfen

Einmal hatte ein Meditationsmeister einen schwerfälligen Schüler. Dieser hatte jedoch einen starken Willen und war entschlossen, die Erleuchtung zu erlangen. Der Meister betreute ihn so gut, wie er es konnte. Es gelang ihm trotzdem nicht, dem Schüler zu helfen. Nachdem er sein ganzes Wissen erschöpft hatte, ging er in den Wald, um über den Weg seines Schülers nachzudenken. Dort verbrachte er viele Wochen. Die Trockenzeit verging, die Luft wurde schwer und klebrig und eines Tages fielen die ersten großen Regentropfen. Zuerst hingen sie in der Luft und dann fielen sie auf den Staub, der sie verschluckte.

Der Meister beobachtete das und dachte weiter über seinen Schüler nach. Als die Regentropfen im Staub verschwanden, sah er plötzlich einen großen Regentropfen in der Form seines Schülers vor sich und begriff, dass er ihn nicht formen konnte.

„Wenn die Zeit kommt, kommt auch die Erleuchtung“ – dachte er. „Ein Tropfen, zwei, drei … Zehn Tropfen, diese verschwinden im Staub. Zehntausend Tropfen verwandeln den Staub in Tropfen!“ Er ging zurück in das Dorf und suchte den Schüler.  

„Du bist ein Regentropfen“, sagte er zu ihm. „Geh in den Wald und verschwinde im Staub“. Der Schüler ging in den Wald, ohne die Worte des Meisters zu verstehen. Er sah die in der Luft hängenden Tropfen und verfolgte sie im Staub. Sie verschwanden zuerst und dann kamen Zehntausende und er schrie zu ihnen: „Ich bin ihr“ und erlangte die Erleuchtung.

Leistung und der meditative Weg

In der Regentropfen-Geschichte musste zuerst der Meister die Erleuchtung erlangen, um seinem Schüler den richtigen Hinweis zu geben. Einige Leute befinden sich auf dem meditativen Weg, ohne es zu wissen. Sie tun ihre Arbeit mit der Hingabe und so fesselnd und selbstlos, als wären sie nur das, was sie tun. Es sind nur wenige, die auf diese Art weiterkommen.

Manche versuchen dem meditativen Weg nach den Anweisungen aus einem Buch zu folgen. Es ist jedoch schwierig, gerade das passende Buch für sich selbst zu finden. Da es kein universelles Rezept für die eigene Entwicklung gibt, gelingt es wiederum nur wenigen, auf diese Art sich zu entwickeln. Die Lehre an sich kann auch ein guter Weg sein. Wie sie ausgelegt und verstanden wird, bestimmt, ob der Schüler die Erleuchtung erlangen wird. Da jede Lehre in Worte gefasst ist, lässt sie viel Spielraum für falsche Schritte.

Ein Lehrer, der sich in der Lehre auskennt, kann dem Schüler eine große Hilfe sein. Er ist wie ein Coach, der den Schüler befähigt, den Weg zu meistern. Im Spielraum einer Lehre erkennt er rechtzeitig die falschen Schritte. Zudem lebt er die Lehre vor. Trotzdem genügt es nicht, mithilfe eines Lehrers weiterzukommen. Der Schüler ist der Einzige, der sich entwickeln kann. Ausgestattet mit einem starken Willen, Gelassenheit und einer unendlichen Geduld ausgerüstet kann er sogar zu einem Regentropfen werden. Das zu erreichen ist nicht so schwer, wie den Weg zu meistern, der danach kommt.

Wiederkehr in den Alltag

In der Zen-Tradition heißt es, Ausreifen des Geistes: Der Meister schickt seinen Schüler zurück ins wahre Leben, nachdem dieser die Erleuchtung erlangt hat.

Die Parallelen mit anderen Traditionen lassen sich leicht erkennen: Wer die wahre Natur aller Dinge erkennt, übernimmt in der Regel andere Aufgaben und kümmert sich um das Profane. Ein erleuchteter Mönch wird zu einem Abt. Ein Meditationsschüler wird zum Meister. Einer, der der Welt entsagt, kommt plötzlich zurück und sucht sich eine Arbeit. Die Aufgabe dieser Menschen ist nicht mehr, an sich selbst zu arbeiten, sondern vor allem die Weisheit und Reife des eigenen Geistes der Menschheit zur Verfügung zu stellen. Erst dann ist es möglich zu erkennen, ob jemand tatsächlich verdient hat, den Menschen zu dienen (und damit auch über die Dinge zu stehen, an denen die meisten haften).

Da vereinigen sich das Ende und der Beginn des Weges. Der Regentropfen ist wieder rein und kann den Durst stillen.
(Milenko Vlajkov)

Niemals einen Post verpassen?

Kommentar verfassen

Weitere Beiträge

Berühmte Personen des meditativen Weges

Dogen Zenji 1200 – 1253 (auch Dogen Kigen oder Eihei Dogen) wurde nach der westlichen Zeitrechnung 1200 in Kyoto geboren. Mit 12 Jahren trat er in das Kloster Enryaku-ji ein. Nach drei Jahren hauptsächlicher theoretischer Unterweisung wollte er eine stärker praxisorientierte Schulung kennenlernen und trat daher in das Kloster Kennin-ji ein. Dort wurde Rinzai Zen

Wichtige Rolle der Meditationen im Herbst.

Der Herbst ist die Zeit, in der die Ernte eingeholt wird und die Vorräte für den Winter angelegt werden. Dieser Vorgang ist in der Natur zu beobachten, die Tiere nehmen deutlich zu (Fettreserven), Bäume und Pflanzen ziehen ihre Säfte zurück. In der Natur wird Chi frei:– die ein- und zweijährigen Pflanzen sterben ab– die Blätter

Meditationsreihe: Verzicht und Versuchung als Wege zur Erleuchtung

Am 14. Mai 2001 fand der 11. Meditation-Workshop statt. Das Thema: Verzicht und Versuchung als Wege zur Erleuchtung. In diesem Workshop wurden zunächst die Begriffe Verzicht, Versuchung und Erleuchtung erklärt. Der allgemeine Weg zur Erleuchtung gliedert sich in die aus dem Seminar „Meditation: Ein Weg zum Erwachen“ bekannten acht Bestandteile. Diese sind:1. Yama (tue nichts

Buchbesprechung – Die Vier Edlen Wahrheiten

Buchbesprechung Die Vier Edlen WahrheitenDie Grundlage buddhistischer Praxis 1966 hielt der XIV. Dalai Lama in London eine Vortragsreihe über Theorie und Praxis des Buddhismus.Verlag Fischer Taschenbuch, ISBN 978-3-596-19790-3; Gebundene Ausgabe: 160 Seiten, Originaltitel: The Four Noble Truths Für MEDITATION AKTUELL wird hier ein Überblick über die Grundinformationen dieses Buches gegeben. In seiner ersten Lehrrede sagte

Das Ego – Gute oder schlechte Begleitung in dieser Welt

Was ist das Ego?Das Ego – Gute oder schlechte Begleitung in dieser Welt – oder was hält uns? Wenn man sich mit Fragen über das Ego beschäftigt und versucht, Antworten zu finden, kann man in vielen Richtungen suchen und bekommt oft verwirrende Antworten. In den verschiedenen Traditionen gibt kurz betrachtet, sehr unterschiedliche Lösungen über die

Was ist Karma in den verschiedenen Traditionen?

Karma, wie es in den Traditionen erklärt ist:Karma, auf Sanskrit: Karman (Tun), auf Pali: Kamma HinduismusIn der indischen Philosophie bezeichnet Karma den Einfluss der Taten einer Person in der Vergangenheit auf seine künftigen Leben oder Reinkarnationen (*1). Die Lehre des Karma spiegelt die hinduistische Überzeugung wider, dass dieses Leben nur eines in der Kette von

error:
Nach oben scrollen