Betrachtung über den Weg der individuellen Meditation
Milenko Vlajkov ist ein Meditationsmeister, der seit 1984 die Lehre der individuellen Meditation im Westen vertritt und verbreitet. Seit 1992 lebt und unterweist er die Meditationspraxis in Süden Deutschlands. Das Programm umfasst Vorträge und Workshops zum Thema der individuellen Meditation und der persönlichen Entwicklung. Täglich kurze Übungen bereiten den Schüler darauf vor, einmal im Jahr eine Meditationswoche mitzumachen, bei der er die erste Einsicht in die wahre Natur aller Dinge bekommen kann. Ein Gespräch am Vorabend eines Workshops hat mich dazu bewegt, diesen Artikel zu schreiben.
Frage: Können Sie mit dem Unterschied zwischen den verschiedenen Meditationswegen und dem Weg der individuellen Meditation etwas verdeutlichen?
Milenko: Alle Meditationsansätze und Meditationslehren einschließlich der wissenschaftlichen Meditationen basieren darauf, dass der Schüler eine Anweisung bekommt und diese dann praktiziert, manchmal auch jahrelang. Wenn der Schüler eines Tages die notwendige schwingungslose Konzentration erworben hat, kann er eine anspruchsvolle Aufgabe bekommen, um die spirituelle Realität zu erforschen. Im Unterschied dazu wechselt die individuelle Meditation die Aufgaben in regelmäßigen Abständen, denn unser Ansatz basiert darauf, dass der Schüler möglichst viele, unterschiedliche Meditationen bekommt, damit sein Geist ständig gefördert wird.
Frage: Sind das die gleichen Prinzipien, wie sie die Lernpsychologie entdeckt hat?
Milenko: Ja, diese Prinzipien verweisen darauf hin, dass wir nur dann unerwünschten Gewohnheiten abbauen können, wenn sie der Übende mit immer neuen, ungewöhnlichen Sachen beschäftigt. Gewohnheitsmäßig praktizierte Meditation verfestigten den vorhandenen Zustand und der Schüler macht keinen Fortschritt mehr. Die Aufgabe eines guten Meisters ist es, darauf zu achten, dass seine Schüler ihre ineffizienten Denk- und Verhaltensmuster abbauen, indem sie sich der Automatismen bewusstwerden.
Frage: Können sie etwas genauer darauf eingehen, welche Kriterien sie anwenden, um die entsprechenden Meditationen für den Schüler zu bestimmen?
Milenko: Wichtige Faktoren, die die individuelle Meditation berücksichtigen und die in keiner anderen Lehre beurteilt werden, sind z.B. das Alter des Übenden, das Geschlecht, die geistige und körperliche Verfassung, die Lebensumstände, der Beruf, die Einstellung und die Fähigkeit, mit der Meditation umzugehen, dass schon vorhandene Wissen und die Erfahrung des Schülers.
Frage: Was wird damit erreicht, wenn die persönlichen wichtigen Faktoren zur Bestimmung der Meditation herangezogen werden?
Milenko: Das Ziel und die Kriterien für die richtige Meditation sind eigentlich, dem Übenden die Aufgabe zu erteilen, die er gerade nach erledigen, jedoch nicht vollkommen umsetzen kann. Der Übende soll so herausgefordert sein, wie jemand, der mit letzten Kräften ans Ziel kommt und am Ziel sogar vor Erschöpfung zusammenbricht, damit er tatsächlich die Blockaden im Geiste abbauen kann. Die Meditation als solche ist eine kleine Übung, die immer dazu dient, die phylogenetisch jüngsten Funktionen des Bewusstseins zu fördern und zu erhalten.
Frage: Zum Begriff „phylogenetisch“ ist zu sagen, dass damit die stammesgeschichtlich jüngsten Entwicklungsstufen der Menschheit gemeint sind, wie z. B. das Denkvermögen, die Logik und die Kreativität. Welche Bedeutung und welche Verbindung haben phylogenetische Funktionen zur Meditation?
Milenko: Diese jüngsten Faktoren der Menschen sind am sensibelsten. Wenn sie nicht gepflegt werden und wenn man das nicht berücksichtigt und sie nicht benutzt, dann werden diese Funktionen am ehesten zurückgebildet. Wir beschäftigen uns damit, weil wir davon ausgehen, dass das einzige Bekannte, was wir haben, dieses Leben ist und dass wir in diesem Leben so viel wie möglich erreichen wollen. Wir wollen nicht mit der Wiedergeburt und mit Karma spekulieren, da es keine hundertprozentigen Beweise dafür gibt. Wir wollen uns in unserem Inneren von allen Blockaden wie Haften und Gier befreien. Nur wir wollen nicht das Menschliche in uns vernichten.
Frage: In welchem Zusammenhang steht das Befreien von Haften und das Vernichten des Menschlichen?
Milenko: Hier ist ein großer Unterschied zum Buddhismus und Hinduismus, die davon ausgehen, dass man sich vom Haften befreien muss, um die Erleuchtung zu erlangen. Das wird z. B. im Buddhismus dadurch erreicht, dass man keine Gedanken, Absichten oder Wünsche hat. Es gibt hierzu ein bekanntes Schlagwort, was auch in anderen Traditionen bekannt ist, nämlich „im Hier und Jetzt“ zu leben.
Das Ziel der Lehre der individuellen Meditation ist, den Übenden zu befähigen, sich je nach Bedarf von allen Wünschen zu befreien, die er nicht erfüllen kam. Solange wir leben, ist es angenehmer, mit den Wünschen zu leben und auf die, die wir nicht erfüllen können, so zu verzichten, als hätten wir sie überhaupt nicht. Wenn wir letztendlich wissen, wir werden sterben, dann ist es besser, alle Wünsche zu löschen und endgültige Erleuchtung laut der buddhistischen Tradition zu erlangen und ins Nirvana zu gehen. Die Voraussetzung dafür ist jedoch ein hoch geschulter Geist.
Frage: Bedeutet das, dass es möglich ist, in diesem Leben Erleuchtung zu erlangen?
Milenko: Das ist eine sehr ungenaue Frage, weil wir zuerst den Begriff der Erleuchtung definieren sollten. Wenn die Erleuchtung darin besteht, inneren Frieden zu haben, dann ist es möglich; wenn die Erleuchtung darin besteht, ewiges Glück zu haben oder in ewiger Ekstase zu leben, dann ist es nicht möglich. Wenn die Erleuchtung darin besteht, in einem ewig harmonischen Zustand zu bleiben, dann ist es auch nicht möglich.
Die Hoffnung, ewig glücklich zu sein, entspricht nicht der menschlichen Natur. Ewig glücklich zu sein ist genauso fesselnd, genauso hemmend für die Entwicklung wie die Idee, ewig unglücklich zu sein. Wenn aber die Erleuchtung darin besteht, Einsicht in die wahre Natur aller Dinge zu bekommen und wenn diese Einsicht jederzeit, bei jeder nächsten Gelegenheit, bei jeder nächsten Aufgabe, wie eine blitzartige Einsicht auf jede Antwort kommt, dann ist es möglich. Das ist einfach ein plötzliches Erwachen.
Frage: Habe ich einen Vor- oder Nachteil, wenn ich schon seit längeren Jahren meditiere?
Milenko: Das hängt davon ab, ob du nur eine Meditation oder unterschiedliche Meditationen praktizierst und ob diese Aufgaben deinen Bedürfnissen und deiner Situation entsprechen. Im Sommer sollte eine Meditation eine abkühlende und beruhigende Wirkung haben, damit die Person die Hitze gut verträgt. Praktiziert die Person dieselbe Meditation im Winter, kühlt sich der Übende noch mehr ab und setzt die eigenen Abwehrkräfte dadurch herab. Das ist so, als wurde jemand im Winter viel Eis essen, um die Kälte nicht mehr so deutlich zu spüren. So ist es auch mit der Meditation, d. h., wenn die Meditation passend ist, den Jahreszeiten und den Umständen angepasst, dann kann die Meditation einen Nutzen haben. Nur nach einem Jahr hat die Meditation sowieso die Entwicklungskraft verloren und die Person braucht eine andere, anspruchsvollere Aufgabe, sonst wird die Meditation zur Gewohnheit und blockiert die Weiterentwicklung.
Herr Vlajkov, ich bedanke mich für das informative Gespräch und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg beim Bekanntmachen und Entwickeln der Lehre der individuellen Meditation.
(ES)
Meditationsmeister im Westen
Gendün Rinpotsche (auch Rinpoche geschrieben) wurde 1918 in Kahm, Ost Tibet, geboren. Er hatte von frühester Kindheit an tiefe Sehnsucht nach dem spirituellen Weg. Während der Sommermonate, wenn die Familie ihre Herden auf die Weiden führte, lebte die ganze Familie in einem großen Zelt. Gendüns Lieblingsspiel als kleiner Junge war, sich etwas abseits einer Hütte