Gendün Rinpotsche (auch Rinpoche geschrieben) wurde 1918 in Kahm, Ost Tibet, geboren. Er hatte von frühester Kindheit an tiefe Sehnsucht nach dem spirituellen Weg. Während der Sommermonate, wenn die Familie ihre Herden auf die Weiden führte, lebte die ganze Familie in einem großen Zelt. Gendüns Lieblingsspiel als kleiner Junge war, sich etwas abseits einer Hütte aus belaubten Zweigen zu bauen, in der er sich in Meditationshaltung hinsetzte und verkündete: „Ich bin ein Einsiedler.“ Gendün erinnert sich an diese Zeit: „Obwohl ich damals noch keine religiöse Erziehung erhalten hatte, sehnte ich mich zutiefst nach dem heiligen Dharma. Ich beobachtete sehr genau das Leben meiner Eltern, die einfache und aufrichtige Leute waren. Ich sah, dass die Belange dieses Lebens sie ganz und gar in Anspruch nahmen, und sagte mir: Alle weltlichen Aktivitäten sind sinnlos und ohne Bestand. Worin besteht ihr Nutzen zur Zeit des Todes? Durch dieses intensive Nachdenken wandte sich mein Geist für immer von weltlichen Dingen ab. Mein Vater versuchte immer wieder, mir sein Handwerk beizubringen, nur all seine Mühe war vergebens. Es gelang mir einfach nicht, mit dem Werkzeug geschickt umzugehen. Meine Eltern waren um meine Zukunft besorgt. Schließlich gaben sie meiner wiederholten Bitte nach, einen Meister ausfindig zu machen, von dem ich den heiligen Dharma lernen könne. Sie entschlossen sich, mich in das nahegelegene Kloster von Khyodrag zu bringen, wo ich eine spirituelle Erziehung und gleichzeitig alles für meinen Lebensunterhalt Notwendige erhielt.“
So begann Gendün mit gerade sieben Jahren seine Lehrzeit im Kloster. Er lebte sehr einfach und befolgte in allem die Regeln der Klostergemeinschaft. Schon bald wurde er aufgrund seiner vorbehaltlosen Bereitschaft, anderen zu helfen und alles mit ihnen zu teilen, für viele ein Vorbild. Doch er interessierte sich weniger für die traditionellen Aktivitäten der Mönche, die aus Lektüre und Rezitation von Texten, Herstellen von Tormas, rituellen Tänzen und anderen formellen Studien bestanden. Anders als die übrigen Mönche wollte er vor allem meditieren und verbrachte, um dies zu erlernen, seine Egend zu Füßen der großen Meister im Kloster.
Während der Zeit seiner Ausbildung als Heranwachsender führte Gendün einige Einzel Retreats durch. Mit 17 Jahren erhielt er die volle Ordination und mit 21 Jahren begann er im Retreat Zentrum seines Klosters das traditionelle Dreijahresretreat.
Da er unerschütterliches Vertrauen und tiefe Hingabe besaß, war Lama Gendün ein makelloses Gefäß für die Lehre. Er konnte die Übertragungen seiner Lamas vollkommen in sich aufnehmen und sein Geist wurde vollständig von ihrem Geist durchtränkt. Er praktizierte die Sechs Yogas von Naropa, Unterweisungen zur Praxis mit den subtilen Kanälen und Winden. Von da an trug er nur noch ein einfaches Baumwolltuch, und aufgrund seiner Verwirklichung des Yogas innerer Hitze (Tummo) erlangte er die Fähigkeit, Schnee und Eis zu schmelzen. Sogar im tiefsten Winter brauchte er keine Heizung in seiner Zelle. Ein anderes Zeichen seiner tiefen Meditation war, dass er weder Hunger noch Durst hatte und nur noch sehr wenig aß und trank. Er erlangte direkte und bleibende Kenntnis auch der subtilsten geistigen Zustände.
Nach seinem Dreijahresretreat blieb er noch mehrere Jahre in strenger Zurückziehung im Kloster Khyodrak, wo er intensiv in Abgeschlossenheit meditierte. Seine Tür blieb verschlossen und der einzige Mensch, zu dem er Kontakt hatte, war sein Koch, der den Schlüssel zu seiner Zelle hütete.
Eines Tages besuchte ihn sein Wurzellama Tulku Tendsin von Khyodrak. Er ließ die Tür zu Lama Gendüns Zelle öffnen und sagte: „Es ist jetzt an der Zeit für dich hinauszugehen. Deine Meditation ist vollendet. Du hast Verwirklichung in der Praxis erlangt, und es ist nicht länger nützlich, in Zurückgezogenheit zu bleiben. Du bist wahrhaftig zu einem „Halter des Segens“, einem Vermittler unerschöpflicher Güte geworden und kannst von nun an durch ein Leben unter den Menschen zum Wohl der Wesen wirken. Deine Verwirklichung ist unumstößlich. Du bist wie ein goldener Fels, da kannst du dir sicher sein. Handle von jetzt an nach deinem eigenen Ermessen.“ Gendün ging also auf Pilgerreise und besuchte die heiligen Stätten von Tibet und Nepal, wo er viele Opferungen und intensive Wunschgebete machte. Danach begab er sich wieder ins Retreat und meditierte in verschiedenen Höhlen, die von großen Meistem der Vergangenheit wie Padmasambhava und Milarepa gesegnet waren.
Dort erwarb Gendün Rinpotsche seine Verwirklichung. Jeder, der ihm begegnete, spürte unmittelbar die Kraft seines spirituellen Einflusses, seiner Güte und die warme Ausstrahlung seines Mitgefühls.
Als sich Ende der fünfziger Jahre die Ereignisse in Tibet zuspitzten und das Land vollständig militärisch besetzt wurde, lebte Gendün Rinpotsche immer noch zurückgezogen in den Bergen. Da erschien ihm eine weibliche Schutzgottheit, die ihm riet, nach Süden aufzubrechen und ihm ihren Schutz für die Gegenwart und die Zukunft versprach. Ohne den Weg im mindesten zu kennen, begab er sich zusammen mit zwei Freunden auf den Weg. In der Gewissheit des Schutzes der Drei Juwelen gelang es ihnen, die chinesischen Linien zu durchqueren und nach Indien zu gelangen. Dort angekommen gingen sie zum 16. Gyalwa Karmapa, der Gendün Rinpotsche kurze Zeit später zu einem seiner Wohltäter in Kalimpong in Bengalen schickte. Dort lebte Gendün Rinpotsche etwa weitere zwölf Jahre in Zurückgezogenheit.
Jedes Jahr begab sich der Rinpotsche nach Rumtek, zum Kloster des 16. Karmapa in Sikkim und erhielt von ihm viele Übertragungen. Dann wurde er vom Karmapa zur Betreuung eines neuen Klosters nach Bhutan geschickt.
1974 wandte sich der Karmapa, der seine erste Reise in den Westen vorbereitete, mit folgenden Worten an Gendün: „Ich werde nach Amerika und Europa reisen. Die Menschen dort sind wohlhabend, nur sie kennen die Lehre des Dharma nicht und leiden deshalb sehr unter ihren Emotionen, wie Stolz, Eifersucht, Begierde und Hass. Nur eine authentische spirituelle Praxis kann ihr Leid lindern und sie zur Befreiung führen. Wenn alle Voraussetzungen für die Weitergabe der Lehren des großen Fahrzeugs zusammenkommen, wird es deine Aufgabe sein, sie im Westen zu verbreiten. Dagegen gibt es nichts einzuwenden, ich kenne die Zeichen. Ich weiß, dass du ein Lama bist, der seine Praxis zum Abschluss gebracht hat. Für dich ist jetzt die Zeit gekommen, zum Wohl der Wesen zu wirken.“
Gendün erinnert sich an seine Reaktion: „Von der Aussicht auf solch eine Aufgabe fühlte ich mich völlig erschlagen. Ich sagte nichts, denn ich war unfähig zu antworten.“ Karmapa legte mir seine Hand auf den Kopf und sage lächelnd: „Ein Gönner hat mir einen Teil seines Besitzes in Frankreich geschenkt. Wir sollten dort ein großes Zentrum aufbauen, von dem sich die Lehre des Dharma verbreiten kann. Viele Menschen im Westen können dadurch Zugang zu den Lehren Buddhas finden, und das wird sehr hilfreich für sie sein. Du wirst also nach Europa gehen. Sei unbesorgt, du besitzt das zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendige Karma. Die Zeit ist für dich gekommen, ans Werk zu gehen.“
Lama Gendün Rinpotsche kam im August 1975 in Frankreich an. Von da an widmete er sich ohne Unterbrechung der ihm durch Gyalwa Karmapa anvertrauten Aufgabe: den unverfälschten Dharma im Westen zu verbreiten. Seine Aktivität führte ihn in die meisten Länder Europas. Er machte Dhagpo Kagyu Ling in der Dordogne zu einem bedeutenden Dharma Zentrum und gründete 1984 Dhagpo Kündröl Ling in der Auvergne mit seinen Retreat Zentren, Praxis Klöstern und dem großen Tempel.
Lama Gendün Rinpotsche war Mönch, Yogi und vollendeter spiritueller Meister. Der 16. Gyalwa Karmapa gab ihm die gesamte Übertragung der Kagyü Schule und macht ihn damit zu einem seiner Linienhalter. Gendün Rinpotsche hat maßgebend an der Verwurzelung des Dharma in Europa mitgewirkt und verließ seinen Körper am 31. Oktober 1997.
Der 16. Gyalwa Karmapa (Rangdjung Rigpe Dordje):
„Mit Jigmela lasse ich euch mein Herz, mit Gendün Rinpotsche ein reines Juwel.
„Ich habe keine Lebensgeschichte. Ich habe nur Tee getrunken und Tsampa gegesssen.“
Gendün Rinpotsche