Koan bedeutet wörtlich: öffentliche Dokumente.
Seit Jahrhunderten ist das ein meist kurzer Dialog zwischen Meister und Schüler, der dem Schüler hilft, den Quantensprung vom Verstand zum Nicht-Verstand, dem Zustand wacher Gedankenlosigkeit, zu vollziehen.
Ein Koan beinhaltet nicht die persönliche Meinung eines einzelnen Menschen, sondern das höchste Prinzip. Es kann nicht durch Logik erfasst, nicht mit Worten wiedergegeben und nicht in Schriften erklärt werden; es lässt sich nicht mit dem Verstand messen.
Eines der ersten Koans wurde von Buddha auf dem Geierberg vermittelt. Buddha saß dort mit einer Lotusblüte in der Hand vor seinen Schülern und schwieg, anstatt einen Vortrag zu halten, wie es alle erwartet hatten. Die Mönche wurden bereits unruhig, als einer von ihnen zu lachen begann. Da stand Buddha auf, gab ihm die Lotusblüte und ging.
Wie kommt es nun, dass es bis heute lediglich 1.700 Koans gibt? Koans können nur von Menschen mit erleuchtetem Geist geschaffen werden, die das, was sie verstanden haben, mitteilen wollen. Koans sind nicht dafür da, Wissen über bestimmte Gebiete zu vermitteln oder Themen für Diskussionen zu liefern.
Im Westen wird das Koan oft als eine Art Rätsel verstanden. Ein Rätsel ist allerdings über den Verstand, durch rationales Denken zu lösen.
Ein Koan hingegen ist ein Paradoxon, das mithilfe unseres normalen Denkens nicht erfasst werden kann. Es kann nur von einer Ebene außerhalb des Verstandes verstanden werden, wenn sich ein Zustand von „Nicht-Verstand“, von „Gedankenlosigkeit“ einstellt. In dieser „Lücke“ zwischen den Gedanken kann ein Koan erfahren werden.
Diese existentielle Erfahrung ist das Kernstück der Koan Übungen, die in der Rinzaischule des ZEN ihre stärksten Anwendungen finden.
Normalerweise ist unser Geist unruhig, Gedanken kommen und gehen und es gibt kaum einen Augenblick der Stille, der Zentriertheit. In unserem normalen mentalen Zustand lassen wir uns vom Strom der Gedanken mitreißen, die von hier nach da ziehen, halten uns ständig entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft auf. Das Koan hilft dem Übenden, sich zu konzentrieren. Alle Aufmerksamkeit fokussiert sich auf einen Punkt und von da an können wir das Sein, das Wesen der Existenz wie ein Pfeil aus reinem Bewusstsein durchdringen und erfahren.
Mit dem Wort Kung (oder Ko „öffentlich“) ist gemeint, dass das Koan keine persönlichen Deutungen zulässt. Das an (= Dokumente) bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Aufgezeichnete mit den Lehren der Weisen in Einklang steht.
Was heißt „im Einklang mit den Lehren der Weisen?“ Die heiligen Männer waren sehr betrübt darüber, dass fühlende Wesen sich an den Kreislauf von Geburt und Tod und an die Täuschungen und Irrwege der Sinne klammerten. Also stellten sie mit den Koans Worte zur Verfügung, um das Wortlose verfügbar zu machen, und gaben Formen vor, um das Formlose greifbar zu machen.
Die Erleuchteten standen jedoch alle vor einem Problem: Wie kann man das ausdrücken, was man nicht ausdrücken kann?
Tözan meinte dazu: „Wenn alles verstanden ist, sind die Worte vergessen.“
Osho formulierte es so: „Wahrheit wird in der Stille erfahren. Und wenn Wahrheit durch Stille erfahren wird, kann sie auch nur durch Stille ausgedrückt werden.“
Die alten Meister waren daher sehr kreativ, wenn es darum ging Mittel und Wege zu ersinnen, um ohne Worte zu sprechen. Sie provozierten, schüttelte, schlugen und rüttelten die Schüler so lange und immer wieder, bis sie die wahre Natur aller Dinge, die Wirklichkeit erkennen konnten. Die Meister brüllten, nahmen den Stock oder machten eine knappe Bemerkung – alles war recht, um eine Lücke im unablässigen Strom der Gedanken herzustellen. Ihre Abneigung gegen wortreiche Erklärungen wird in Mumons berühmten Zitat deutlich: „Der Gebrauch von Worten ist so, als ob man den Mond mit einem Stock schlagen wollte oder sich am Schuh kratzt, weil der Fuß juckt.“
Laufe der Jahrhunderte wurden dann allerdings Dialoge zwischen den alten Meistern und deren Schülern aufgezeichnet und zur Unterweisung von Suchenden verwendet. Diese Aufzeichnungen sind die Grundlage dessen, was uns heute als Koans bekannt ist. Obwohl sie mittlerweile mehrere hundert Jahre alt sind, steckt in ihnen immer noch die gleiche Kraft. Die Koans können die verborgenen Barrieren in uns aufbrechen, die uns davon abhalten, das Leben in seiner wahren Essenz zu führen.
Es gibt Bücher zu diesem Thema auch in deutscher Übersetzung. Es macht nur keinen Sinn, diese Aufzeichnungen und Auslegungen zu lesen und zu versuchen diese zu verstehen.
Oft ist das erste Koan, das ein Schüler bekommt, das Koan von Chao-Chou: Ein Mönch fragte den Zen-Meister Chao-Chou: „Hat ein Hund Buddha Natur?“
Chao-Chou antwortete: „Mu!“
(Das chinesische „Mu“ heißt übersetzt „nichts, nicht-sein“. Es wäre jedoch falsch, die Antwort wörtlich zu verstehen, denn Buddha sagte, dass alle Lebewesen eine Buddha-Natur haben. Hat der Hund nun eine Buddha-Natur oder nicht … ?!)
Normalerweise geht der Schüler hinaus und versucht auf das Koan, das ihm gegeben wurde, eine Antwort zu finden. Er setzt sich hin und grübelt, sein Verstand produziert viele Antworten. Immer wieder geht er zum Meister, sagt seine Antwort, und der Meister schickt ihn wieder weg. In den Anfangszeiten kam es auch vor, dass der Meister ihn schlug, ihn hinauswarf, „Falsch! Geh tiefer! Tiefer!“ brüllte – und der Schüler ging, um von vorne anzufangen.
Es geschieht also ständig das gleiche, bis der Schüler eines Tages endlich die Antwort erfährt. Zunächst versucht er, das Koan über seinen Verstand zu lösen, aus sicherer Entfernung und er bleibt ein Außenseiter. Das versetzt ihn in einen quasi neurotischen Zustand, vergleichbar mit jemandem, der sich an der Spitze einer sehr hohen Stange festhält und dem man sagt, er solle einen Schritt nach vorne machen. Wenn er erst einmal eins geworden ist mit dem Koan, es atmet, isst, lebt, alle Gegensätze in sich aufgenommen hat, offenbart sich die Antwort. Und dann, für einen Augenblick, ist alles verstanden. Der Zen-Meister Hakuin riet seinen Schülern folgendes für die Verwendung von Koans: „Wenn du dir ein Koan vornimmst und es ohne Unterlass erforschst, sterben deine Gedanken und die Forderungen deines Egos werden zerschmettert. Es ist, als ob sich vor dir ein riesiger Abgrund auftun würde und du dich nirgendwo mit Händen oder Füßen festhalten könntest. Du bist mit dem Tod konfrontiert und dein Herz brennt wie Feuer. Dann plötzlich bist du eins mit dem Koan, und Körper und Geist lassen los. Dies ist damit gemeint, wenn man sagt, man erlange Einsicht in seine wahre Natur. Du musst unaufhörlich nach vorne gehen, und wenn du diese gesammelte Konzentration und Aufmerksamkeit aufbringst, kannst du zweifellos bis zur unendlichen Quelle deines Seins vordringen.“
(MS)