Das Bild zeigt auch das Feuer auf jeder dieser Stufen und es stellt die für die Meditation notwendige Kraft dar. Das Feuer erlischt allmählich auf jeder der zehn Stufen des zhine, weil immer weniger Kraft für die Konzentration benötigt wird. Es meldet sich wieder auf der elften Stufe, wenn der Übende mit der Einsichtsmeditation anfängt.
Göpa lenkt unsere Gedanken auf fünf Arten von Sinnesobjekten: die Geschmacksobjekte, Objekte der Berührung, Objekte des Hörens, Objekte des Sehens, Objekte des Riechens, die durch die Nahrung, durch Textilien, durch Instrumente, durch Düfte und durch den Spiegel symbolisiert sind. Die ersten neun Stufen sind die fünf Wege des zhine. Die zehnte Stufe ist das vollkommene Erlangen, das wahre zhine.
Wenn wir zhine üben und dabei z. B. Buddhas Bild als Meditationsobjekt benutzen, müssen wir es zuerst so gut wie möglich betrachten, und dann, wenn wir anfangen zu meditieren, beobachten wir nicht das Objekt, sondern wir konzentrieren uns darauf über den Mittelpunkt des inneren Auges. Zuerst wird die Erinnerung an das Objekt gar nicht klar sein, und doch soll man nicht versuchen, es klarer zu machen – es ist unmöglich, damit anzufangen – sondern man soll sich bemühen, die Aufmerksamkeit bei ihm zu behalten, gleichgültig, ob es klar oder unklar ist. Die Klarheit wird zuletzt auf natürliche Weise eintreten. Am Anfang ist die Konzentration enorm schwierig; der Geist schwingt unaufhörlich hin und her. Wenn wir beständig bleiben, können wir feststellen, dass wir den Geist eine bis zwei Minuten am Objekt behalten können, dann drei bis vier usw. Jedes Mal, wenn der Geist das Objekt verlässt, muss denpa ihn zurückbringen. Shezhin soll benutzt werden, um zu prüfen, ob die Schwierigkeiten auftauchen oder nicht. Wenn der Mensch einen Krug voll heißen Wassers einen Engpass entlang trägt, ist ein Teil seines Geistes auf das Wasser gerichtet und der andere Teil achtet auf den Weg. Denpa muss die Konzentration stabil aufrechterhalten, wobei shezhin auf die Schwierigkeiten, die eventuell auftauchen könnten, achten soll. Später müssen wir denpa nicht so oft benutzen; mit viel Übung zieht sich göpa zurück. Durch den Kampf gegen göpa wird der Geist müde und das erzeugt etwas jingwa. Nach einer Weile ist die Stufe erreicht, auf der sich der Übende überglücklich und gelassen fühlt. Diesen Zustand verwechselt man oft mit dem wahren zhine, in der Tat ist es feinstoffliches jingwa; es schwächt den Geist. Wenn wir weiter energisch üben, wird auch dies verschwinden; wenn wir diese Schwierigkeit beseitigen, wird unser Geist klarer und wacher, sogar das Objekt wird klarer und die Meditationszeit verlängert sich. Der Körper wird in seelischer Ruhe sein; wir werden weder Hunger noch Durst haben. Mit der Zeit kann der Meditierende das Üben so monatelang in einem Schwung fortsetzen.
Das Empfinden seines Geistes lässt sich nicht beschreiben.
Wenn wir uns ein Stück Textilgewebe anschauen, werden wir es zwar sehen, aber nicht ganz bis ins Detail. Wer sich mit dem inneren Auge gut darauf konzentriert, wird imstande sein, es ganz genau zu sehen. Wenn der Mensch stirbt, wird sein Geist schwach; aber wenn er die Meditation anwenden kann, wird sein Geist dann frischer und klarer. Sonst verspüren die Sterbenden gewöhnlich Täuschungen und Ängste, was zu einer schlechten Wiedergeburt führt. Wenn jemand erfolgreich meditiert, richtet sich sein Geist auf Buddha, dharma (buddhistische Lehre) und ähnliches, was bei der Wiedergeburt sehr hilfreich ist. Auf der neunten Stufe fühlen wir uns sehr glücklich und ausgeglichen; aber das ist noch nicht die wahre Vollendung der Meditation. Selbst wenn wir auf ein Objekt vollkommen konzentriert sind, ist es immer noch nicht das vollständige Erlangen. Auf der neunten Stufe, den heiligen Schriften zufolge, selbst wenn die Wand neben dem Meditierenden zusammenfallen würde, selbst dann würde er sich nicht beunruhigen. Wenn er die Meditation fortsetzt, wird er besonderes Vergnügen in seinem Geist und Körper spüren; dann nähert er sich dem Ziel des zhine an. Der Körper wird sich leicht und unermüdlich fühlen; das wird auf dem Bild durch den fliegenden Menschen symbolisch dargestellt. Sein Körper ist sehr gelenkig und der Geist kann sich jeder Art von Meditation zuwenden, etwa wie dünne Kupferdrähte in elektrischen Schwingungen, die sich in alle Richtungen drehen können, ohne dabei zu platzen. Er spürt, dass das Objekt eins mit seinem Geist ist.
Während er sich konzentriert, kann sein Geist zugleich in die Natur des Objektes schauen. Nachdem er das gleichzeitige Üben der beiden fortsetzt, wird er besonderes Vergnügen bei der Beobachtung des Objektes spüren. Die Beobachtung des Objektes beinhaltet auch die Erkenntnis darüber, ob dieses Objekt leidet oder nicht, ob es beständig oder veränderlich ist, sowie die Suche nach der höchsten Wahrheit, die sich in dem Objekt befindet. Der tibetische Name für diese Meditation der Einsicht lautet ihagthong; Ihag bedeutet „höher“ und thong bedeutet „verstehen“ oder „begreifen“. Durch diese Meditation begreift der Geist das Objekt besser, als durch die einfache Konzentration; nachdem man das vervollständigt hat, kann sich der Geist, jedem Objekt zuwenden. Die Vervollständigung des ihagthong bietet großes geistiges Vergnügen, aber wenn der Mensch sich damit zufriedenstellt, ist es, wie wenn das Flugzeug, fertiggestellt und bereit zum Fliegen, doch auf dem Boden bliebe.
Der Geist muss sich tieferen und höheren Sachen zuwenden. Er muss auf der einen Seite benutzt werden, um kama und klesha (mentale Verschmutzung) zu überbrücken, und auf der anderen Seite, um Buddhas Tugenden zu gewinnen. Dazu könnte das Meditationsobjekt nur shunyata sein (shunyata = Leerheit); andere Meditationen bereiten den Geist darauf vor. Wenn wir eine sehr gute Fackel haben, die alles beleuchten kann, müssen wir sie nicht benutzen, um das zu entdecken, was wichtig ist. Ursprung aller unserer Schwierigkeiten ist das Unwissen (avidya). Wir müssen unser Wissen des shunyata nutzen, um es zu vertreiben.; der Geist muss das gereinigte zhine nutzen, sowie ihagthong, um die Wurzeln des Baumes des Unwissens durchzuschneiden. Auf der Abbildung hält der Mensch den Säbel auf der letzten Stufe (das Verstehen des shunyata), um zwei schwarze Linien durchzuschneiden, die zwei avarane (Störungen) symbolisieren: die Störung des Unwissens (jneya-varane) und die Störung der Verschmutzung (kleshavarane). Die letztere schließt sowohl karma als auch klesha ein.
Die Erkenntnis des shunyata ist von essenzieller Wichtigkeit, um das Unwissen zu beseitigen. Wenn der Mensch sich einmal dem vollkommenen Verstehen des shunyata annähert, ist er auf dem Wege des prajna-paramta (prajna = vollkommene Weisheit), der vollkommenen Erkenntnis des shunyata (Leerheit).
(MV)
Meditationsmeister im Westen
Gendün Rinpotsche (auch Rinpoche geschrieben) wurde 1918 in Kahm, Ost Tibet, geboren. Er hatte von frühester Kindheit an tiefe Sehnsucht nach dem spirituellen Weg. Während der Sommermonate, wenn die Familie ihre Herden auf die Weiden führte, lebte die ganze Familie in einem großen Zelt. Gendüns Lieblingsspiel als kleiner Junge war, sich etwas abseits einer Hütte